Edward Elgar (1857–1934)
«Dream Children» op. 43

Edward Elgar auf einer Fotographie von um 1905
(Quelle: Wikimedia Commons).

Wer englische Komponisten aufzählen soll, denkt wahrscheinlich als erstes an Edward Elgar. Das ist nicht verwunderlich, denn Elgar war seit Georg Friedrich Händel (1685–1759) der erste Musiker aus Grossbritannien, der über die Grenzen der britischen Inseln hinaus bekannt wurde. Und noch heute kennt wohl jede*r Europäer*in sein «Land of Hope and Glory» aus dem «Pomp and Circumstance March No. 1» (1902), das den Stellenwert einer Hymne eingenommen hat. Stücke wie das traurige «Nimrod» aus seinen «Enigma»-Variationen (1899) beweisen jedoch, dass der Komponist auch andere Töne anschlagen konnte. So auch in seinem klanglich intimen und sanften Werk «Dream Children» (1902).

Literarische Inspiration

Als Elgar «Dream Children» verfasste, befand er sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere und seines Ruhms. Nur zwei Jahre später sollte er von King Edward VII. zum Ritter geschlagen werden. Dennoch entschied er sich ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt, das träumerische, kurze Stück zu verfassen, ohne einen dazugehörigen Auftrag. Der Grund dafür ist nicht bekannt. Wir wissen aber, was ihn dazu inspiriert hat und woher der Titel stammt. In die Partitur schrieb Elgar nämlich:

«We are not of Alice, nor of thee, nor are we children at all … We are nothing; less than nothing, and dreams. We are only what might have been …»
(«Wir gehören weder zu Alice noch zu dir, noch sind wir überhaupt Kinder … Wir sind nichts, weniger als nichts, nur Träume. Wir sind nur das, was hätte sein können.»)

Der englische Dichter Charles Lamb

Dieser Auszug stammt aus dem gleichnamigen Essay des englischen Dichters Charles Lamb (1775–1834), das 1823 als Teil der gefeierten Sammlung
«Essays of Elia» in den Londoner Zeitschriften veröffentlicht wurde. Darin offebarte Lamb seine tiefsten Gefühle und Sehnsüchte, indem er in einem imaginären Dialog mit seinen beiden fiktiven Kindern die Grenzen zwischen echten Kindheitserinnerungen und Fantasie vermischte.

Das «verträumte Kind» Elgar

Es sollte nicht das letzte Mal bleiben, dass Elgar mit seiner Musik versuchte, sehnsüchtig in die Kindheit zurückzublicken: Dies wiederholte sich 1907/08 mit seinen «Wand of Youth»-Suiten und 1930/31 mit seiner «Nursery Suite». Im Jahr 1921 vertraute Elgar seinem Freund, dem englischen Kunst- und Literaturkritiker Sidney Colvin (1845–1927), an:

«I am still at heart the dreamychild who used to be found in the reeds by Severn side, with a sheet of paper trying to fix the sounds and longing for something very great.» («Im Herzen bin ich immer noch das verträumte Kind, das man früher am Ufer des (Flusses) Severn im Schilf fand, mit einem Blatt Papier in der Hand, auf dem es versuchte, die Klänge festzuhalten, und das sich nach etwas ganz Grossem sehnte.»)

Diese Worte verraten, weshalb sich Elgar von den Kindergeschichten Lambs so angezogen gefühlt haben muss. Die kindliche Leichtigkeit, die sich in beiden Sätzen von «Dream Children» findet, wollte er sich bewahren.
Doch mehr noch: Sein Werk zieht die Zuhörenden direkt in diese Traumwelt hinein, sodass es schwerfällt, nicht selbst mitzuwippen und zu tänzeln.

Text: Franziska Gallusser