Camille Saint-Saëns: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 22
Camille Saint-Saëns sagte einmal: «Ich bin Klassizist, aufgewachsen im Geiste Mozarts und Haydns.» In seiner Heimatstadt Paris wurde er schon früh als Wunderkind gehandelt: Mit 11 Jahren gab er sein erstes Konzert als Pianist, 1848 wurde er vom Conservatoire aufgenommen und arbeitete später als anerkannter Organist in verschiedenen Kirchen. 1871 war er Mitbegründer der bedeutenden Société Nationale de Musique, die mit ihrer Devise «Ars gallica» den Franzosen ein Forum bot, als Gegengift zum «Wagnérisme» eigene Instrumentalwerke aufzuführen und eine Renaissance der nationalen Musik einzuläuten. Denn zuvor waren viele französische Stücke verschmäht worden. So erinnerte sich Saint-Saëns, dass «der blosse Name eines französischen Komponisten – noch dazu eines lebenden! – auf einem Konzertprogramm» genügt hatte, «um das Publikum in die Flucht zu schlagen».
«Ich bin Klassizist, aufgewachsen im Geiste Mozarts und Haydns.»
Saint-Saëns, der Traditionalist
Oft wurde Saint-Saëns aufgrund seines Stils als «Beethoven Frankreichs» oder «französischer Brahms» bezeichnet. Er ging eben nicht wie etwa Debussy, Ravel oder Strawinski den Weg der musikalischen Neuentwicklungen, die ihn mit Schrecken erfüllten. Ein Kritiker meinte dazu: «Tradition faszinierte ihn mehr als Innovation. Sie zu verteidigen, wann immer er sie bedroht glaubte, darum kämpfte er mit Lebendigkeit, Mut und ausserordentlicher Heftigkeit.» Saint-Saëns wollte die Gattungen der Sinfonie, der Sonate und des Solokonzertes wiederbeleben, die in Frankreich durch die Vorherrschaft der Oper lange an Popularität eingebüsst hatten. Sein zweites Klavierkonzert schrieb er 1868 auf Wunsch des befreundeten Pianisten Anton Rubinstein, der als Dirigent ein Konzert in Paris geben wollte. Die Zeit bis zu diesem Termin war knapp, weshalb die Komposition in nur 17 Tagen entstand. Bei der Uraufführung am 13. Mai des Jahres spielte Saint-Saëns selbst den Solopart.
Saint-Saëns und sein schelmischer Stil
Ein Zeitgenosse spöttelte damals über das heute gleichermassen bei Künstlern und Publikum beliebte Werk: «Es beginnt mit Bach und hört mit Offenbach auf.» Mit einer ausgedehnten und toccatenhaften Solokadenz setzt es ein. Sie ist unüberhörbar eine Hommage an Johann Sebastian Bach. Den weiteren Verlauf des Kopfsatzes prägt ein pathetisches Hauptthema, und nach ausgiebigen Verarbeitungen schliesst dieses Andante mit einem rauschenden Tonfall. Über dem folgenden Scherzo schwebt ein wenig die Luftigkeit von Mendelssohns Klangsprache im «Sommernachtstraum». Aber der häufig etwas schelmische Stil von Saint-Saëns macht sich ebenfalls bemerkbar – beispielsweise in den Soli der Pauken, welche die Pianistin bald mit Motiven der linken Hand aufgreift. Im Finalsatz geht es turbulent und höchst virtuos zu, angetrieben durch einen quirligen Tarantella-Rhythmus, der seinen Ursprung in Süditalien hat. Einige Zeit bestimmt eine markante Triller-Figur das musikalische Geschehen, als Kontrast erhebt sich in den Holzbläsern eine Choralmelodie, doch am Ende klingt dieses mediterran geprägte Presto schwungvoll aus.