Francis Poulenc (1899-1963): Konzert für Orgel, Streicher und Pauke in g-Moll, FP93
Der Solist Hans-Jürgen Studer
Nach umfangreichem Studium in den Fächern Orgel und Klavier in Frankreich, Österreich und der Schweiz ist Hans-Jürgen Studer seit 1989 Hauptorganist der reformierten Kirche Zug. Neben einer „wohldosierten“ Konzerttätigkeit unterrichtet er an verschiedenen Musikschulen Klavier und Kirchenorgel.
Ein Blick in die Partitur
Das Orgelkonzert
«Das Konzert hat mir viel Schmerz bereitet – Es ist nicht vom gefälligen Poulenc des Konzerts für zwei Klaviere, sondern eher vom Poulenc auf dem Weg ins Kloster, sehr nach Art des 15. Jahrhunderts.» So äusserte sich der in Paris geborene Komponist 1936 selbst über die Genese seines Meisterwerks in einem Brief.
Das 1938 fertiggestellte farbenfrohe Orgelkonzert in g-Moll mit seinen gigantischen Klangeffekten ist heute eines seiner bekanntesten. Weltweit zählt es zu den meistgespielten Werken für Orgel und Orchester. Die Hommage an Johann Sebastian Bach war auf Wunsch der einflussreichen Mäzenin des französischen Musiklebens Prinzessin Edmond de Polignac alias Winnaretta Singer entstanden. Der millionenschweren Erbin des amerikanischen Nähmaschinenfabrikanten ist das knapp 24 Minuten dauernde Werk auch «sehr respektvoll gewidmet». Sie war damals Auftraggeberin für zahlreiche grosse Künstler u. a. Igor Strawinsky, Kurt Weill und Arthur Honegger. In ihrem Salon gingen Grössen wir Pablo Picasso, Claude Monet, Coco Chanel und Isodora Duncan ein und aus.
Auch der hochbegabte Pianist Poulenc gehörte in den 1920ern zur künstlerisch aktiven Bohème der französischen Hauptstadt. Er pflegte eine enge Freundschaft zu Kollegen wie Erik Satie und Jean Cocteau, mit denen er zusammen in der berühmten «Groupe des Six» anhand teils provokativer musikalischer Experimente eine antiromantische Haltung propagierte. 1923 schrieb er für die legendäre «Balletts Russes» das frech erotische Ballett «Les Biches» (Die Häschen).
«Les Biches»
Blick in das Ballett.
Janus Poulenc
Als Lebemann, Katholik und musikalisches Genie zugleich nannte er sich selbst «Janus Poulenc». Denn nicht nur in seinem Charakter, sondern auch in seinen Kompositionen zeigte sich seine Ambivalenz. Er machte kein Geheimnis daraus, dass er ein Gegner von ästhetischen Theorien und festen Prinzipien war. Damit eckte er an und sein Werk wurde lang als amateurhaft und ohne intellektuellen Anspruch kritisiert. Heute gilt er hingegen als einer der bedeutendsten Komponisten französischer Sakralmusik des 20. Jahrhunderts sowie als Mittler zwischen den Klangwelten der Spätromantik und der melodischen Moderne.
Nach dem Unfalltod eines engen Freundes und eines darauffolgenden religiösen Erlebnisses auf einer Pilgerfahrt wandte er sich ab 1936 eng dem katholischen Glauben zu. Es war der Auftakt für eine Reihe geistlicher Werke wie die «Litanies à la vierge noire» 1936, die gross angelegte Vokalkomposition «Messe G-Dur» 1937 und 1950 schliesslich seine viel beachtete «Stabat Mater».
In seinem Orgelkonzert in g-Moll zeigt sich neben der ungewöhnlichen und experimentierfreudigen Besetzung mit der Pauke als Solo-Instrument die kompositorische Vorstellung der «Groupe des Six» von «Gleichgewicht von Gefühl und Vernunft». Gleichzeitig steckt es voller Reminiszenzen an alte Meister wie Vivaldi oder Händel. So benutzt Poulenc ebenso wie in seinem Cembalokonzert die aus dem Barock stammende Form für eine gemässigt moderne Musik in weit gefasstem G-Moll, sieht für sein innovatives Werk aber – anders als früher üblich – eine Orgel mit einem sehr grossen Werk vor. Das einsätzige Konzert gliedert sich in sieben abwechslungsreiche Unter-Abteilungen – voll von entrückter Versenkung, schlagartigen Ausbrüchen, romantischer Melodien bis hin zu plakativem Witz. Interessant ist, dass Poulenc komplett auf Blasinstrumente verzichtete. Die Klangkombination von Orgel und Bläsern erschien ihm wohl als zu redundant.