Maurice Ravel (1875–1937): «Le Tombeau de Couperin», Suite für Orchester
«Kultiviere das, was Dir das Publikum vorwirft, denn das bist Du.»
Ein Quergeist im Pariser «Fin de Siècle»
Im Paris des «Fin de Siècle», jener Epoche des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, pulsierte das Leben. Hier trafen sich Künstler und Intellektuelle in den Salons – und Jean Cocteau gab der jungen Avantgarde den Rat: «Kultiviere das, was Dir das Publikum vorwirft, denn das bist Du.» Genau das machte Maurice Ravel, der «Meister von klingenden Masken» genannt wurde. An seinen Werken schieden sich die Geister, und anfangs war es alles andere als einfach für ihn, sich durchzusetzen. Am Pariser Conservatoire mit seinen konservativen Methoden hatte er es als Quergeist schwer. Im Umkreis der Impressionisten und Symbolisten entwickelte er seinen eigenen unabhängigen Stil. Wer ihn fragte, welcher musikalischen Strömung er angehörte, bekam die Antwort: «Überhaupt keiner, ich bin Anarchist.» Doch er orientierte sich durchaus an seinen Vorgängern, verschleierte deren Formen aber auf seine ureigenste Weise – und äusserte dazu: «Ein Komponist, bei dem keinerlei Einflüsse zu erkennen sind, sollte seinen Beruf wechseln.»
«Le Tombeau de Couperin»
Ein Paradebeispiel für sein Schwelgen in der Vergangenheit ist das Werk «Le Tombeau de Couperin»: Ravel schrieb es von 1914 bis 1917 ursprünglich als eine Klaviersuite in sechs Teilen – und zwar «eine französische», wie er gegenüber einem ehemaligen Schüler erwähnte, dabei jedoch betonte: «Es handelt sich keineswegs um das, was Sie glauben: Die Marseillaise wird darin nicht vorkommen.» Der Anlass zur Komposition war ein trauriger: Das Stück entstand als Erinnerung an Freunde, die im Ersten Weltkrieg umgekommen waren, und auch als Bewältigung des Todes seiner geliebten Mutter. Dennoch erscheint es auf weite Strecken nicht wirklich wie eine bedrückende musikalische Gedenktafel, sondern vielmehr wie eine spielfreudige Hommage an das grosse Zeitalter der französischen Barockmusik und das Schaffen von François Couperin. Die Uraufführung der Klavierversion fand am 11. April 1919 in Paris durch Marguerite Long statt. Die dann nur viersätzige Orchesterfassung wurde erstmals am 28. Februar 1920 in den Concerts Pasdeloup unter der Leitung von Rhené-Baton gespielt.
«Le Tombeau de Couperin» in den Version für Klavier solo und für Orchester
Die ursprüngliche Version für Klavier solo:
Und die Suite für Orchester:
In Erinnerung an die Jugendfreunde Pascal und Pierre Gaudin
Es ist ein fantasievolles und virtuoses Werk mit alten Gesellschaftstänzen im modernen Gewand und spannenden Instrumentaleffekten. Den Anfang macht eine ornamentreiche Einleitung, die den schmerzlichen Verlust des Künstlers Jacques Charlot verarbeitet. Es folgt eine klanggesättigte und mit musikalischen Gewürzen des 20. Jahrhunderts gespickte Forlane – entstanden für Gabriel Deluc, einem Maler aus Ravels baskischer Heimatregion. Das elegische Menuett mit seiner betörenden Oboenmelodie und raffinierten Begleitstimmen wirkt wie ein Wiegenlied und steht für das Gedenken an Jean Dreyfus, bei dessen Familie er sich Ravel einige Zeit aufhielt. Der abschliessende Springtanz, ein Rigaudon, ist sehr lebensfroh und überschäumend auskomponiert, geht aber zwischendurch in einen pastoralen Gestus über – in Erinnerung an die beiden Jugendfreunde Pascal und Pierre Gaudin.