Nikolai Mjaskowski (1881–1950): Sinfonietta a-Moll op. 68 Nr. 2
Es gibt zahlreiche Werke und Komponisten in der Musikgeschichte, die auf ihre Wiederentdeckung durch die breite Öffentlichkeit warten. Ein gutes Beispiel dafür ist Nikolai Mjaskowski, der zu seinen Lebzeiten zu den zentralen Komponisten der Sowjetunion gehörte. Seine Sinfonietta op. 68 Nr. 2 ist eine Entdeckung wert.
Nikolai Mjaskowski
Als Nikolai Mjaskowski seine Sinfonietta op. 68 Nr. 2 im Jahre 1945 abschloss, war er Mitte der Sechziger und blickte auf eine bedeutende Laufbahn zurück.
Studiert hatte er unter dem renommierten Nikolai Rimski-Korsakow. Bald avancierte Mjaskowski selbst zum gesuchten Lehrer und Vorbild – Funktionen, die er u.a. dank seinem Wirken am Moskauer Konservatorium ausführen konnte.
Sein Werk umfasst u.a. ganze 27 Sinfonien und weitere Werke für Orchester. Aufgrund seines Ansehens wurde Mjaskowski in den 1930er-Jahren in die Leitung der Moskauer Abteilung des neu geschaffenen Verbands sowjetischer Komponisten einberufen.
Eine Retrospektive?
Die Sinfonietta op. 68 Nr. 2 ist über weite Strecken geprägt von einem trüben Klang. Grundlage für die Musik sind ältere Satzmodelle. Diese dienen Mjaskowski aber nicht dazu, die Vergangenheit zu verklären, sondern viel eher zu einer persönlich gefärbten Retrospektive.
Gegen die Doktrin?
Mit einer solch zurückhaltenden Musik wie in der Sinfonietta op. 68 Nr. 2 entsprach Mjaskowski den offiziellen Erwartungen des sowjetischen Regimes nur schlecht. Dieses hatte in den Jahrzehnten davor die Devise des sozialistischen Realismus umgesetzt. Gemäss dieser Leitvorstellung hatten alle künstlerischen Erzeugnisse der Sowjetunion Ideen wie die Fortschrittlichkeit, die technischen Errungenschaften oder den sozialistischen Nutzen der Sowjetunion darzustellen. Auf dem Gemälde von Alexander Samochwalow («Kirow sieht eine Sportparade, 1935) soll die Stärke und Frische der Sowjetunion zum Ausdruck kommen.
Nach dem Sieg über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg war grosser Pomp gewünscht. Dem entsprach auf musikalischem Gebiet z.B. Sergej Prokofjew, dessen 5. Sinfonie im Januar 1945 uraufgeführt wurde und den «Triumph des menschlichen Geistes» ausdrücken soll.
Die Künstler in der Sowjetunion schufen aber keinesfalls bloss Werke, die dem Regime genehm waren. Dies konnte aber sehr gefährlich werden. Dmitri Schostakowitsch beispielsweise schrieb die Oper «Lady Macbeth von Mzensk» (1934), die von der Partei als zu modern und als aus «Lärm» bestehend eingestuft wurde. Konsequenz: Schostakowitsch wurde öffentlich diffamiert und musste in den folgenden Jahren, wie auch andere Künstler, um sein Leben bangen. Nicht selten wurden Künstler aufgrund anderer Meinungen und Kunstansichten bedroht, entführt und gar ermordet.
Schostakowitschs 10. Sinfonie
Der Mut verschiedener Künstler brachte es in dieser schwierigen Situation aber mit sich, dass Werke entstanden, die auf verschiedene Weise lesbar waren – und unterschwellige Kritik verbargen. So bspw. in der 10. Sinfonie von Schostakowitsch (1953), in deren zweitem Satz die hässliche Fratze Stalins, der kurz zuvor gestorben war, hörbar sei (so der Komponist).
Mjaskowskis 6. Sinfonie
Mjaskowski hatte sich auch in der sowjetischen Doktrin zu verorten. Der künstlerische Durchbruch gelang ihm bezeichnenderweise mit einem Werk, das die jüngere russische Geschichte, nämlich die Revolution, thematisiert – die 6. Sinfonie von 1923, die bald auch im Ausland gespielt wurde. Im Hintergrund schweben aber negative Aspekte wie der russische Bürgerkrieg mit.